Bodybuilding in Ost und West
 

Bodybuilding in Ost und West

Bodybuilding-Anhänger, inspiriert u.a. durch Auftritte von Bodybuildern im Rahmen der WM im Gewichtheben 1959 in Polen, da Gewichtheber und Bodybuilder zu diesem Zeitpunkt noch Mitglieder des Weltverbandes FIHC (Federation Internationale Halterophile et Culuriste“) waren, aber auch durch Zeitschriften, die über die noch offene Grenze ins Land gelangten. Die von Bodybuilding-Enthusiasten gegründeten sogenannten „Kraftsportgruppen“ wurden gemeinhin Betriebs-, Hochschul-, und Armeesportgemeinschaften angeschlossen und waren auf deren finanzielle Unterstützung angewiesen. Da diese Unterstützung gemeinhin her geringfügig ausfiel, stand und fiel die gerätetechnische Ausstattung dieser Kraftsportgruppen gemeinhin mit dem Engagement einzelner Mitglieder. Mit dem 1969 gefassten Beschluss der DDR-Sportführung, nur noch ausgewählte, medaillenträchtige Sportarten als
„Sport I“ zu fördern, wurde Eigeninitiative zum tragenden Element des DDR-Bodybuildings. Mit der Gründung einer „Kommission Kraftsport“ und deren Anbindung an den DGV (Deutscher Gewichtheberverband der DDR) um das Jahr 1966 hatten Protagonisten des frühen DDR-Bodybuildings, an der Spitze der an der Universität Leipzig tätige Gewichtheberfunktionär Dr. Gerhard Carl, die formalen Voraussetzungen für die politisch-ideologische Akzeptanz einer „sozialistischen Variante“ des Bodybuildings in der DDR geschaffen. Der besseren Abgrenzung vom „kapitalistischen Bodybuilding“ wegen etikettierte man diese Variante als „Kraftsport“ bzw. „Körperkulturistik“ und etablierte ein Wettkampfsystem, welches das eigentlich zentrale Element von Bodybuilding-Wettbewerben, das „Posen“, nur außerhalb der Wettkampfwertung erlaubte. Lediglich die „Körperbewertung“ (vier Vierteldrehungen in Grundstellung) wurde zunächst zugelassen, darüber hinaus wurden Bankdrücken, Kniebeugen, Schlusssprung, Klimmziehen und zeitweilig Langhantel-Armbeugen zu Wertungsdisziplinen erklärt.
derstaaten“ der unmittelbaren Nachbarschaft unter der Bezeichnung „Kulturistik“ eine rege Bodybuildingszene formierte, die nicht nur klassische Bodybuilding-Wettbewerbe austrug, sondern – insbesondere im tschechischen Marienbad – auch zunehmend Bodybuilder aus westlichen Ländern anzog, gab die DDR-Sportführung im Jahr 1976 dem hartnäckigen Drängen von Enthusiasten wie Peter Butze (BSG Post Karl Marx-Stadt) und Manfred Schmidt (HSG Leipzig, bis 1982 Vorsitzender der Kommission Kraftsport) nach und erlaubte zuminderst Senioren (ab 21 Jahre) fortan die Durchführung von Wettbewerben“ mit Pflicht- und Kürposen, allerdings unter der Auflage, das Bankdrücken als „Kraftdisziplin“ im Wettbewerb zu belassen. Erst 1984 wurden die DDR-Bodybuilder auch vom Bankdrücken entbunden.
Kristallisationspunkt der Kritik wurde in den kommenden Jahren vor allem die strikte Abgrenzung vom „kapitalistischen Bodybuilding“, die nicht nur dazu führte, dass man es verbot, in öffentlichen Trainingsräumen Poster westlicher Bodybuilding-Ikonen auszuhängen, sondern auch, dass man es ostdeutschen Spitzenbodybuildern trotz der Vorlage entsprechender Einladungen nicht gestattete, an Wettkämpfen im „kapitalistischen Ausland“ teilzunehmen. Die Situation kulminierte, als der Ostberliner Peter Hensel aufgrund dieser Situation im Jahr 1984 aus der DDR in die BRD übersiedelte und im Jahr 1985 Europa- und Weltmeister des Bodybuilding-Verbandes IFBB wurde. Parallel dazu hatte sich in der DDR unter dem Eindruck erster Bodybuilding-Wettbewerbe für Frauen in den USA, Westeuropa und auch der benachbarten Tschechoslowakei ein wachsender weiblicher Interessentenkreis für Frauenbodybuilding formiert.

 
  Da man in der DDR jedoch nach wie vor keine Wettbewerbe für Frauen organisierte, beteiligte sich Gabriele Butze von der BSG Post Karl-Marx-Stadt in den Jahren 1983 und 1984 ohne entsprechende Genehmigung am Sandow-Turnier im tschechischen Marianske Lazne. Ihrem daraufhin beantragten Ausschluss aus dem DTSB der DDR entging sie nur durch diplomatisches Geschick und rhetorisches Talent. Nahezu zeitgleich wurde unter bis heute dubios anmutenden Rahmenbedingungen in Vielau bei Zwickau (Sachsen) ein erster Bodybuildingwettbewerb für Frauen ausgetragen – so ist bis heute nicht völlig geklärt, inwieweit die nahezu vollständig anwesende Führungsriege des ostdeutschen Gewichtheberverbandes im Vorfeld von der Austragung der Frauenkonkurrenz überhaupt wusste. Interessanterweise kam es jetzt jedoch zu einem überaus flexiblen Umdenken der Funktionäre. In dessen Ergebnis weilten Gabriele und Peter Butze, ein Jahr zuvor noch ihrer unbotmäßigen Anwesenheit beim Sandow-Turnier in Marianske Lazne wegen mit Ausschluss aus dem staatlichen Sportverband bedroht, nun bei ebendiesem Turnier als offizielle Beobachter. Gabriele Butze wurde beauftragt, eine Konzeption für die Entwicklung des Frauen-Kraftsportes in der DDR zu erarbeiten, die sie im Präsidium des DGV der DDR vortrug. Die nachfolgende Entwicklung überraschte selbst alteingesessene DDR-Kraftsportler: Ab 1985 wurden in der DDR nicht nur immer mehr Wettkämpfe im „Kraftsport-Dreikampf“ (so die offizielle Bezeichnung für Bodybuilding) der Frauen durchgeführt, es kam auch zu einer überaus positiven Berichterstattung in den staatlich gelenkten Massenmedien. Ab 1988 beteiligten sich Frauen (gemeinsam mit den Männern) sogar ganz offiziell am Sandow-Turnier im tschechischen Kurort Marianske Lazne. Die faktische sportliche Gleichstellung von DDR-Bodybuilderinnen mit anderen Leistungssportlerinnen zeigte sich ein letztes Mal zu Beginn des Jahres 1990: Der erste offiziell in den Medien der noch existierenden DDR eingeräumte Dopingfall eines DDR-Spitzensportlers betraf ausgerechnet eine Bodybuilderin aus Ostberlin: Ellen Tetschke.

Analysiert man die Entwicklung des DDR-Bodybuildings im Nachgang, erscheint dem Verfasser die Schlussfolgerung nahe liegend, dass sich die Funktionäre des untergegangenen DDR-Sports nur vordergründig von ideologischen Motiven leiten ließen, tatsächlich jedoch einem nüchtern-pragmatischen, utilitaristischen Ansatz folgten:
1. Kraftsport bzw. Bodybuilding als „Volkssport“ war unter gesundheitsssportlichen Gesichtspunkten überaus wünschenswert, solange die Akteure in der Praxis bereit waren, sich mit bescheidenem  materiell-technischen Interieur zu begnügen und Vergleiche zum gerätetechnisch hochgerüsteten Bodybuilding westlicher Prägung zu vermeiden.
2. Eine Beteiligung an Wettkämpfen im „kapitalistischen Ausland“ musste dem DDR-Bodybuilding verwehrt bleiben, da das unter DDR-Bodybuildern zwar nicht flächendeckende, aber zumindest unter Spitzenathleten weit verbreitete Anabolika-Doping mit diversen, unter Schwarzmarktbedingungen beschafften anabol-androgenen Steroiden stets die Gefahr barg, bei einem Dopingtest aufzufliegen und damit den DDR-Spitzensport in Misskredit zu bringen.
3. Die überraschende Bereitschaft der DDR-Sportführung, ab 1985 Wettbewerbe im Frauen-Bodybuilding zuzulassen, ist vor allem damit zu erklären, dass damit erstens die aus dem westlichen Ausland überschwappende Fitnesswelle aufgefangen und in eine Szene überführt wurde, die ihre materiell-technische Basis weitgehend in Eigenregie organisierte (Selbstbau von Geräten und Sportstätten).
4. Mit der Entwicklung des Frauen-bodybuildings wollte der DGV der DDR – ähnlich wie Mitte der 1960er Jahre bei den Männern – eine Rekrutierungsbasis für das sich international stürmisch entwickelnde Frauen-Gewichtheben schaffen, wo man den Anschluss zu verlieren drohte.

Von Dr. Andreas Müller