Bodybuilding in Ost und West
 

Bodybuilding in Ost und West

„Ich sträube mich absolut und in schärfster Weise dagegen, auch nur für einen Augenblick gelten zu lassen, dass die Körperkultur an sich ein wertloses Ding sei. Im Gegenteil, ich halte dafür, dass derjenige, welcher seinen Körper vernachlässigt (und ihn nicht zu pflegen heißt ihn vernachlässigen) der schweren Sünde schuldig ist; denn er sündigt gegen die Natur […] Der Tag nationaler Körpererziehung muss bald kommen, wo jedes Kind vom 5. bis zum 14. Jahr täglich unter ärztlicher Ueberwachung üben wird.“
Eugen Sandow, der diese Zeilen im Jahr 1904 in einem Buch unter dem Titel „Kraft und wie man sie erlangt“ formulierte, strebte ebenso gleichermaßen nach gesellschaftlicher Anerkennung und merkantilem Erfolg wie zahlreiche andere Protagonisten des Bodybuildings bis zum heutigen Tag. Dafür, dass der Erfolg zumeist deutlich hinter den Erwartungen zurück blieb, lassen sich zahlreiche Gründe aufführen. Das Ausmaß der frenetische Hingabe, mit der sich enthusiastische Bodybuilder beiderlei Geschlechts ihrem Training widmen, steht dem der Ablehnung seiner Gegner kaum nach, welche die im Bodybuilding benutzten Hanteln, Kabelzüge und Krafttrainingsmaschinen schon einmal pauschal als „Folterwerkzeuge“ verdammen. Bodybuilding-Wettbewerbe, von den Akteuren nach oft monatelanger Diät und nicht selten täglich mehrmaligem harten Training als biografische Höhepunkte zelebriert, ernten bei weniger parteilichen Zeitgenossen oftmals Hohn und Spott, werden als „hirnlose Fleischbeschau“ oder narzisstische Selbstinszenierung ohne jeden sportlichen Wert abgetan und in den Massenmedien nicht selten eher als Kuriosität wahrgenommen, die es nicht verdient, in einem Atemzug mit „ernsthaftem Sport“ wie Fußball, Boxen oder Tennis besprochen zu werden.

 Als Teil einer umfassenden, zahlreiche Aspekte von der Freikörperkultur über Joga bis hin zum Ausdruckstanz umfassenden Lebensreformbewegung erlangte Bodybuilding im beginnenden 20. Jahrhundert zunächst tatsächlich eine gewisse Popularität. So erschienen im Jahr 1901 rund 15.000 Menschen in der Londoner Royal Albert Hall, als dort eine der ersten „Körperschönheitskonkurrenzen“ ausgetragen wurde – damals übrigens noch von Aktiven im Bärenfell statt knappen Posingslip und immerhin vor den Augen einer Jury, der u.a. der Kriminalschriftsteller Arthur Conan Doyle angehörte. Wohl nur in den seltensten Fällen jedoch standen auf der Bühne damals schon Teilnehmer, die sich ausschließlich auf Bodybuilding-Wettbewerbe fokussierten – so sie es überhaupt taten. Der junge Werner Seelenbinder beispielsweise, der sich 1925 in den Berliner Schinkels-Festsälen an einer „Arbeiterschönheitskonkurrenz“ beteiligte, 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde und in der DDR zur Ikone des kommunistischen Widerstands gegen das Nazi-Regime avancierte, war „hauptsportlich“ Ringer, und John Grimek, der im Jahr 1939 als erster „Mister America“ in die Bodybuilding-Geschichte einging, hatte sich drei Jahre zuvor noch als Gewichtheber an den Olympischen Spielen im faschistischen Berlin beteiligt. Und tatsächlich waren es vor allem die vom Ungeist des „Dritten Reiches“ verursachten historischen Verwerfungen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auch für das Bodybuilding erhebliche Bedeutung erlangen sollten.

 
  So betrieb Poldi Merc, ein ursprünglich aus Wien stammender Bodybuilding-Enthusiast, Mitte der 1950er Jahre in Westberlin sein Bodybuilding-Studio in einem Haus, dessen obere Etagen noch zerbombt und somit unbewohnbar waren. Dem Zustrom der Mitglieder tat dies keinen Abbruch. Auch in anderen Städten der noch jungen Bundesrepublik Deutschland gelangte Bodybuilding ungeachtet beißender Kritik von „Stern“ und „Spiegel“ schnell zu beachtlicher Blüte, wurden Bodybuilding-Studios und Verlage für „Muskelmagazine“ gegründet, auf den Rückseiten von „Groschenheften“ Hanteln, Expander und Proteinpräparate beworben und schließlich, so im Jahr 1960 im Münchener Bürgerbräu-Keller, erste Wettbewerbe um schillernd klingende Titel wie den eines „Mister Germany“ ausgetragen.  Wer im wirtschaftlich prosperierenden westlichen Teil Deutschlands Bodybuilding betrieb, konnte zwar nicht hoffen, damit irgendwann olympischen Ruhm zu ernten, denn von der Anerkennung Bodybuildings als olympische Sportart träumten vorläufig nur einige Funktionäre, allen voran die Gründer des Bodybuilding-Weltverbandes IFBB, Ben und Joe Weider. Bislang genügte für den anwachsenden Zustrom jedoch schon die Hoffnung auf einen wohlproportionierten Körper, anerkennende Blicke vom anderen und neidische vom eigenen Geschlecht, und mit etwas Phantasie konnte man sich sogar eine Filmkarriere nach dem Muster von „Herkules-Darstellern“ wie Steve Reeves und Reg Park vorstellen, bevor Arnold Schwarzenegger nach einigen weniger glücklichen Versuchen (u.a. „Herkules in New York“) mit seinen Rollen vor allem als „Conan“ und „Terminator“ endgültig Bodybuilding mit dem Genre des Action-Filmes fusionierte.
Schwarzenegger konnte es sich sogar leisten, breit lächelnd vor laufender Fernsehkamera Mitte der 1970er Jahre seinen Anabolikakonsum öffentlich einzuräumen – noch nicht einmal bei Olympischen Spielen wurde vor 1976 auf anabole Steroide getestet. Zudem war Bodybuilding keine olympische Disziplin und dessen Regularien somit nicht unterworfen, und wen kümmerte auf dem Kulminationspunkt der Flower-Power-Ära schon, wenn junge, gesunde und offenbar vor Kraft nur so strotzende Männer ein paar Pillen einwarfen, von denen zu dieser Zeit noch niemand ahnte, dass sie Leberzirrhosen, Nierenversagen und Herzinfarkte verursachen könnten.
Als dann zu Beginn der 1980er Jahre maskulines Bodybuilding und feminine Aerobic zur „Fitnesswelle“ fusionierten und mit Lisa Lyon und Rachel McLish überaus intelligente und sowohl feminin als auch athletisch wirkende Protagonistinnen des Frauenbodybuildings die bislang den Männern vorbehaltenen Wettkampfbühnen und Krafträume eroberten, erzielte die anhängige Branche mit Studiomitgliedschaften, Geräten, Sportkleidung, Magazinen, Büchern, Nahrungsergänzungsmitteln, Trainerausbildungen und zahlreichen weiteren Produkten und Dienstleistungen weltweit bereits Milliardenumsätze.
Allerdings nur in jener Welt, deren Regierungen durch freie, demokratische Wahlen legitimiert waren. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges entwickelten sich Bodybuilding und Fitness unter völlig anderen Rahmenbedingungen.
Wolfgang Leonhard, der als junger, in der Sowjetunion aufgewachsener Kommunist im Jahr 1945 gemeinsam mit anderen Mitgliedern der „Gruppe Ulbricht“ in das zerbombte Berlin eingeflogen wurde, hat in seinen Erinnerungen eine Äußerung festgehalten, mit welcher der Namenspatron dieser Gruppe, der KPD-Funktionär und spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht, anlässlich einer Lagebesprechung klar umriss, wie er sich die Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland vorstellte: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!“. Alles in der Hand haben – das bezog sich auch auf den Sport, ja sogar gerade auf den Sport! Nicht nur, weil Erich Honecker als damaliger Funktionär der kommunistischen Jugendorganisation FDJ und späterer Mauerarchitekt noch vor der Gründung der DDR im Jahr 1949 anlässlich einer Zusammenkunft des Deutschen Sportausschusses klar die Idee des unpolitischen Sports negierte, sondern vor allem, weil die DDR neben dem „Volkssport“ als möglichst kostengünstigen „Fitmacher“ für Arbeit und Landesverteidigung ab den 1960er Jahren auch den Leistungssport im Interesse der sozialistischen Staatsräson in international einmaliger Weise instrumentalisierte. Besonders der im Jahr 1969 gefasste „Leistungssportbeschluss“ hatte einschneidende Folgen für das gesamte sportliche Gefüge der noch jungen DDR. Da die DDR-Sportführung in krassem Gegensatz zur Bundesrepublik einen organisierten Sport außerhalb staatlich geschaffener Strukturen nicht duldete, hatten sich in der DDR keine ähnlichen Strukturen wie in der Bundesrepublik etablieren können.

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